"Ihr könntet einen noch in die Lüge verliebt machen"
"You Could Even Make One Fall in Love With Falsehood"
Author(s): Anke van KempenSubject(s): Literary Texts
Published by: Löwenklau Gesellschaft e.V.
Summary/Abstract: Das hier vorgestellte Dissertationsvorhaben im Fach Neuere deutsche Literatur trägt den Arbeitstitel Die Rede vor Gericht. Zur Funktion der forensischen Rede in der deutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Es geht darin nicht um eine Motivgeschichte des Prozesses in der deutschen Literatur und nicht darum, biographische Überschneidungen oder Parallelen zwischen juristischer Tätigkeit und literarischem Werk einzelner Autoren aufzuspüren. Vielmehr soll unter inhaltlichen und formalen Aspekten die modellhafte Funktion forensischer Rede für die literarische Autoreflexion bestimmt werden. So alt wie die Rhetorik ist die Frage, ob die menschliche Rede eine tendenziell die Wahrheit verstellende "tyrannische" Kunst oder im Gegenteil das geeignete und das einzige Medium ist, Wahrheit nicht nur angemessen und stilistisch einwandfrei zu artikulieren, sondern über die Vermittlung des Wahrscheinlichen erst zu gewinnen. Die Rhetorik reflektiert das Problem in der Frage nach dem Verhältnis zwischen res und verba, d. h. nach der Möglichkeit, zuverlässig die Dinge "beim Namen zu nennen", und stellt in sophistischer Tradition die Referenzfähigkeit des Wortes grundsätzlich in Frage. Dieser Zweifel an der Bezeichnungsfähigkeit der Worte gewinnt besondere Relevanz in der Rede vor Gericht. Sie ist das Modell der Kunst überzeugender Rede und bildet den Bezugspunkt aller antiken Rhetoriklehrbücher. Die Rede vor Gericht ist der Testfall der Rhetorik. Aber auch im literarischen Kunstwerk erscheint sie als zentrales Element der sprach- und autoreflexiven Struktur des Textes. Explizit erinnert Roland Barthes in seiner Darstellung der Alten Rhetorik daran, "daß unsere gesamte, von der Rhetorik geprägte und im Humanismus sublimierte Literatur aus einer politisch-gerichtlichen Praxis hervorgegangen ist". Es geht um die Rhetorizität poetischer Texte, um die selbstschöpferische (autopoietische) und zugleich subversive Funktion der Rede. Sprache konstituiert den literarischen Text, birgt aber das Potential ihrer eigenen Dekonstruktion bereits in sich. Sie reflektiert und problematisiert ihre eigene Funktionalität und ihre eigenen Bedingungen. Wie eine solche Lektüre literarischer Texte aussehen kann, soll hier am Beispiel von Georg Büchners Drama Dantons Tod gezeigt werden.
Journal: Rechtshistorisches Journal
- Issue Year: 1998
- Issue No: 17
- Page Range: 187-204
- Page Count: 18
- Language: German
- Content File-PDF