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The Myth of Russia in the contemporary German-Language Literature
Mythos Russland in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur

Author(s): Aigi Heero
Subject(s): Literary Texts
Published by: Tartu Ülikooli Kirjastus

Summary/Abstract: Im Jahr 1900, als Rainer Maria Rilke zum zweiten Mal Russland zusammen mit Lou Andreas-Salomé bereiste, schrieb er in dem Brief an Sofia Schill (am 20.Juli 1900): „Mit diesen Tagen tun wir einen großen Schritt auf das Herz Russlands zu, nach dessen Schlägen wir schon lange hinhorchen im Gefühl, dass dort die richtigen Taktmaße sind auch für unser Leben.” (Asadowski 1986: 173) Diese Worte sind in zweierlei Hinsicht signifikant. Einerseits drücken sie die Begeisterung Rilkes aus: Die Begeisterung für das russische Leben und das gesamte Russland-Erlebnis übten auf ihn und auf sein späteres Schaffen einen nachhaltigen Einfluss aus. Des Weiteren jedoch muss das Rilke-Zitat im Lichte eines großen kulturellen Paradigmas betrachtet werden. Es ist seit langem bekannt, dass deutsche Geisteswissenschaftler und Dichter speziell seit dem 19. Jahrhundert das als geheimnisvoll empfundene Russland besser zu verstehen versuchten. Oftmals, so z.B. Peter Brandt, gelangten sie zu der Auffassung, zwischen beiden Völkern gebe es aufgrund einer Art Seelenverwandtschaft eine schicksalhafte Verbindung (Brandt 2002: 3). Nicht nur Rainer Maria Rilke, sondern auch Ernst Barlach, Lion Feuchtwanger, Thomas Mann, Heinrich Böll und viele andere begeisterten sich für Russland und empfanden mit dem großen Nachbarn im Osten eine starke geistige Verbundenheit. Dies verdeutlicht ein weiteres Zitat von Rilke. Am 20. Mai 1900 beschreibt er in dem Brief an Sofia Schill die Begegnung mit Lev Tolstoj als eine außergewöhnliche Erfahrung, bei der ein tiefes Verständnis zwischen ihm und dem Grafen geherrscht habe: „(...) irgendwo [ging] ein Ausblick auf (...) helle Hintergründe tiefer Einigkeit [auf].” (Asadowski 1986: 160).

  • Issue Year: XIII/2008
  • Issue No: 13
  • Page Range: 86-99
  • Page Count: 14
  • Language: German
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