Die vergiftete Gesellschaft. Das Stasi-Akten-Syndrom in der ehemaligen DDR
The contaminated Society. The SraSi-Dossiers-Syndrom in the former GDR
Author(s): Stefan WolleSubject(s): Transformation Period (1990 - 2010)
Published by: Institut für die Wissenschaften vom Menschen
Keywords: contaminated Society; The StaSi-Dossiers-Syndrom ; GDR ; vergiftete Gesellschaft ; Stasi-Akten-Syndrom ; DDR
Summary/Abstract: »Wo ist meine Akte?« In großen weißen Lettern steht diese Frage an einem grauen Trafokasten gegenüber dem Haupteingang des früheren Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Lichtenberg. Am Abend des 15. Januar 1990, als einige tausend aufgebrachte Bürger das Stasi-Hauptquartier stürmten, hatte einer der Demonstranten seine Frage mit Pinsel und Farbe an das Trafohäuschen in der Ruschestraße geschrieben. Seitdem sind anderthalb Jahre ins Land gegangen. Die meisten der anderen Inschriften, die in jenen turbulenten Tagen und Nächten an die Mauern der MfS-Zentrale gemalt worden waren, sind inzwischen sorgfältig beseitigt worden. Als die Deutsche Reichsbahn und diverse westliche Firmen in die Gebäude einwgen, gingen Putzkolonnen ans Werk und tilgten die Spuren des öffentlichen Unwillens. Der deutsche Ordnungssinn überlebt alle Revolutionen. Doch für das Trafohäuschen fühlte sich offenbar niemand verantwortlich. Dreizehn Monate lang - von Januar 1990 bis Anfang März 1991 - arbeitete ich im Archiv des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes, und täglich mußte ich an jener drängenden Frage vorübergehen. Gelegentlich verirrten sich ausländische Touristen oder Presseleute hierher, die auf der Suche nach den Stätten des einstigen Schreckens nichts fanden als triste Bürogebäude. Für sie war die Inschrift auf dem Trafokasten ein lohnendes Fotoobjekt - eine der letzten sichtbaren Spuren jener schwierigen und für Außenstehende verwirrenden Diskussion um die Stasi-Akten.
Journal: Transit
- Issue Year: 1991
- Issue No: 02
- Page Range: 180-186
- Page Count: 7
- Language: German