Europos Sąjungos pagrindinės teisės baudžiamosios justicijos kontekste
Grundrechte der Europäischen Union im Lichte der Strafjustiz
Author(s): Justas NamavičiusSubject(s): Law, Constitution, Jurisprudence, Criminal Law, EU-Legislation
Published by: Lietuvos teisės institutas
Summary/Abstract: Der vorliegende Aufsatz beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen den jeweils im Recht der Europäischen Union, Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sowie im nationalen Recht angelegten Grundrechten aus strafrechtlicher Sicht. Ferner werden die Fragen der „Anwendung“ des EU-Rechts nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh (vor allem in dem Fransson-Urteil des EuGH) sowie Urteile des EuGH betreffend die Grundrechtsgeltung bei der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls (Radu, Melloni) näher besprochen. Trotz der Integration der EMRK im Art. 52 Abs. 3 GRCh kann man nach der Analyse der Rechtsprechung des EuGH, unter anderem auch des Gutachtens zum Beitritt der EU zur Menschenrechtskonvention, eine ernüchternde Erkenntnis ziehen, dass es sich im Hinblick auf das Verhältnis zwischen dem jeweiligen Rechtssystem sich wenig verändert hatte. EMRK stellt trotz der „herausragenden Bedeutung“ im Hinblick auf die Anwendung des EU-Rechts eine Rechtserkenntnisquelle gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV dar, und die vom EuGH beanspruchte Autonomie sowie der Vorrang des EU Rechts sollen auch weiterhin unangetastet bleiben. Auch Art. 53 GRCh bildet für den Betroffenen keine Meistbegünstigungsklausel bei der Anwendung des jeweiligen Rechts, sondern bedeutet letztlich nur einen deklaratorischer Hinweis, dass den Mitgliedstaaten im eigenen Kompetenzbereich die Anwendung der nationalen Grundrechtsstandards nichts im Wege stehe. Eine mögliche „Öffnung“ gegenüber dem nationalen Recht, die Art. 53 GRCh auch zu bieten scheint, wird im Hinblick auf die einheitliche Anwendung des europäischen Rechts jedenfalls einer restriktiven Handhabe unterworfen bleiben. Umso interessanter wird die Abgrenzung zwischen der jeweiligen Zuständigkeit gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh, wonach die Charta neben der Tätigkeit von Organen der Union „die Mitgliedstaaten ausschließlich (so die deutsche, aber keine allgemeingültige sprachliche Fassung) bei der Durchführung des Rechts der Union“ bindet. Im Fransson-Urteil vertrat EuGH diesbezüglich eine extensive Linie indem er in einem innerstaatlichen Steuerstrafverfahren eine Verbindung zwischen der EU-Finanzierung aus den Mehrwertsteuer-Sätzen der Mitgliedstaaten, deren Verpflichtung nach Art. 325 AEUV, den Betrug gegen EU-Interessen zu bekämpfen zu dem in der Charta garantierten Grundsatz von ne bis in idem (Art. 50) zog. Das Urteil wurde in der Literatur (wie auch indirekt vom BVerfG) zu Recht wegen der abstrakten Zusammenführung von recht fernliegenden Gesichtspunkten kritisiert. Dieses Kriterium des adäquaten Zusammenhanges ist neben den anderen wichtig, wie nämlich der Präzisierung der mitgliedstaatlichen Pflichten sowie der Frage nach dem Ermessen bei der Umsetzung des EU-Rechts. Zum Ersten kann gesagt werden, dass eine entsprechende Verpflichtung, die EU-Finanzinteressen wirksam zu schützen, zumindest nach dem supra¬nationalem EU-Recht sich lediglich aus dem Prinzip der Assimilierung (Art. 325 Abs. 2 AEUV) ableiten lässt. Von der Kompetenz nach Art. 325 Abs. 4 AEUV wurde bislang kein Gebrauch gemacht, und allgemeiner formulierter Art. 325 Abs. 1 AEUV kann nicht als alleinige Grundlage taugen, da dieser Absatz von den folgenden erst konkretisiert wird. Dabei ist das Prinzip der Assimilierung ein ziemlich „schwaches“ Mandat, da es den Mitgliedstaat lediglich verpflichtet, den EU-Kontext dem nationalen gleichzustellen, aber auch nicht mehr. Eine ähnliche Linie verfolgte EuGH auch im neueren Taricco-Urteil vom 08.09.2015, wobei auch seine Aussagen von der Einflussnahme des nationalen Verjährungsrechts durch Art. 325 AEUV fragwürdig bleiben. – Es besteht unterschiedliche Handhabe in den Mitgliedstaaten, inwiefern die Verjährung am Gesetzlichkeitsprinzip partizipiert. In diesem Lichte soll dann auch die Frage des mitgliedstaatlichen Ermessens beantwortet werden. In den Sachverhalten, welche vom Unionsrecht nicht vollständig determiniert seien, gehen Teile der Literatur von einer Doppelgeltung des jeweiligen Grundrechtssystems nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung aus, womit auch Art. 53 GRCh eine eigenständige Geltung bekomme. Dieser Ansicht scheint auch der EuGH zu folgen, aber nur von dem ersten Blick: Im gleichen Atemzug stellt er die Anwendung von nationalen Grundrechten unter dem Vorbehalt des Vorrang und der Effektivität des EU-Rechts. Somit bleibt diese „Doppelgeltung“ ein schönes, aber letztlich ein unerfüllbares Versprechen. Sollten wir also vom echten Ermessen sprechen, so muss ein Mitgliedstaat in seinen Grenzen auch grundsätzlich frei disponieren können, auch wenn eine strikte Trennung nicht immer möglich bleibt (zu denken ist etwa an die Entscheidung in der Rechtssache X, obgleich dort eher einschränkend davon die Rede war, wie man EU-Recht nicht anwenden sollte). In der konkreten Fransson Entscheidung dürfte das Strafverfahrensrecht zum „Durchführungsermessen“ des Mitgliedstaates zählen, insbesondere, als entsprechende Verpflichtungen sich lediglich aus dem Assimilierungsgrundsatz ableiteten. Neben den Fragen der Grundrechtsgeltung sind auch die Urteile des EuGH im Hinblick auf den Grundrechtsschutz im Übergabeverfahren mittels des europäischen Haftbefehls vom Interesse (vor allem Melloni, aber auch Radu). EuGH integriert zwar auch die EMRK in seine Argumentation, scheint aber auch einer spezifisch „europäischen“ Perspektive zu folgen, indem er stark die Effektivität und Einheitlichkeit der Rechtsanwendung hervorhebt. Ob die oft geäußerte Kritik, dass EuGH die im Rahmenbeschluss aufgezählten Kriterien der Nichtübergabe wegen der Verletzung prozessualer Grundrechte als abschließend betrachtet, gänzlich zutrifft, ist zweifelhaft, da das Gericht letztlich auch sachliche Ausführungen zu den entsprechenden Rechtsfragen macht. Aber der Widerwille, den Rahmenbeschluss „anzutasten“ und wohl auch die Angst von den potentiell „ausscherenden“ Mitgliedstaaten, die quasi auf eigene Faust die Vollstreckung verweigern könnten (wie dies im neueren Urteil des BVerfG vom 15.12.2015 letztlich geschah), ist deutlich spürbar, vor allem im Hinblick auf die eher knappe Argumentation in der Melloni-Entscheidung, wo das Gericht lediglich einen prozessrechtlichen „Mindeststandard“ formuliert. Dabei ist der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und das daraus resultierende Vertrauen, auf den EuGH rekurriert, kein Selbstzweck. Im Gutachten zum Beitritt der EU zur Menschenrechtskonvention hatte EuGH u.a. ausgeführt, dass der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens es den Mitgliedstaaten generell verwehre, die Einhaltung der EU-Grundrechte zu hinterfragen. Allerdings ist ein Mitgliedstaat, sobald er aus eigener Zuständigkeit, etwa im Rahmen der Rechtshilfe, tätig wird, nach dem EU Recht gerade dazu verpflichtet (Art. 4 Abs. 3, 6 Abs. 3 EUV, Art. 51 Abs. 1 GRCh). Zudem ist „Vertrauen“ ein Gegenstand, welches sich zwar schützen oder fördern, aber rechtlich nur schwer vorschreiben lässt. Da der Hauptnutznießer des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung (anders als bei den wirtschaftlichen Freiheiten) im Ergebnis der Strafverfolgungsapparat der Mitgliedstaaten ist, braucht es eines wirksamen Ausgleichs im Hinblick auf die prozessualen Rechte des Betroffe-nen. Dies gilt umso mehr, als das EU-Recht auch weitergehend seine Autonomie beansprucht, und den Mitgliedstaaten eine dem Art. 53 EMRK vergleichbare Regelung nicht eingesteht.
Journal: Teisės problemos
- Issue Year: 2015
- Issue No: 89 (3)
- Page Range: 5-32
- Page Count: 28
- Language: Lithuanian