Author(s): Miriam Hlavačková / Language(s): Slovak
Eine der besten Charakteristiken des mittelalterlichen Kapitels ist die prägnante Formulation von Peter Moraw Statt der Begegnung von Kirche und Welt. Seine treff ende Äußerung gilt völlig ebenso für das Pressburger Kapitel. Das Pressburger Kapitel bei Pressburger St. Martin´s Dom war ein der wichtigsten Kirchen- und Bildungszentren im mittelalterlichen ungarischen Königreich. Zum Kapitel gehörte eine dem Kanoniker-Scholastiker unterstehende Schule und eine eigene Bibliothek. Die Mitglieder des Kapitels – Pröbste und Kanoniker, spielten hervorragende Rolle bei der Verwaltung des Königreichs. Ihre Erfahrungen und Fachkenntnisse erwarben sie dank ihrer Universitätsbildung und Kanzleipraxis in erzbischöfl ichen bzw. päpstlichen Diensten. Sie fungierten nicht nur als Vermittlungspersonen bei Eheschließungen oder Friedensverhandlungen, sondern sich auch als Hofärtzte um die Gesundheit und Verpfl egung des Herrschers kümmerten. Der König belohnte seine gebildeten Diener oft mit einem Kirchenamt oder Benefi zium. Die persönliche Besetzung des Kapitels sowie auch dessen Prosperität hing hauptsächlich von dem über das Patronatrecht verfügenden Herrscher ab. Wenn sich in den Regierungsjahren Sigismunds von Luxemburg im Pressburger Kapitel eher die für den persönlichen Bedarf beim Herrscher zuständigen Dienstleute (Geheimkanzler und Diplomat Johann von Aussig an der Elbe, Reichsvizekanzler Johann von Gran, Schreiber Michael von Mailberg, Ärtzte Siegfrid Degenberg, Johann Halbhauer von Hammelburg u. a.) konzentrierten, während der Existenz der Universität Istropolitana waren es die Absolventen der „höheren“ Fakultäten (Theologie und kanonisches Recht), welche an der Universität Istropolitana ihre Kenntnise in der Praxis anbringen konnten. Ein der wichtigen Gründe für die Präsenz der böhmischen Geistlichen im ungarischen Königreich in der ersten Hälfte des XV. Jh. waren die hussitischen Wirren in ihrem Heimatland. In den Diensten von Sigismund fanden sie im Pressburger Kapitel ein sicheres Zufl uchtsort. Ihre Wirkung, dank deren im Kapitel neue Einfl üße vor allem der devotio moderna auftauchten, wird sicher auch in der Zukunft zum Gegenstand weiterer zu der vorliegenden Arbeit ergänzenden Forschungen. Anfänglich war das auf dem Pressburger Burghügel residierende Kapitel eine zum liturgischen Dienst und Diözeseverwaltung berufene Priesterversammlung. Als das Kapitel im XIII. Jh. in die Stadt zum St. Martins Dom umsiedelte, wurde es zum bedeutenden intellektuellen und kulturellen Zentrum. Selbstverständlich war das Kapitel an der Entstehung und Wirkung der damals einzigen Universität im ungarischen Königreich beteiligt. Auch wenn sich die Bezeichnung Academia Istropolitana während der Zeit ihres wahrscheinlichen Bestehens 1465 – 1489 in den zeitgenössischen Quellen nicht fi ndet (man begegnet dem Namen erst seit den 40-er Jahren des XVI. Jh.), ist die Benennung Academia Istropolitana in der Literatur üblich geworden. Zum Unterschied von der Universität waren die Akademien des 15. Jh. lockere, eher private Institutionen ohne Uni versitätsrechte und Privilegien. Aus diesen Gründen bevorzugen wir in der vorliegenden Arbeit den Begriff Universität Istropolitana. Mit der Organisierung der Universität wurde außerdem humanistisch orientierten Kanzler, dem Graner Erzbischof Johann Vitez, auch der Vizekanzler der Universität und Probst des Pressburger Kapitels Georg Peltel aus Schönberg († 1486) beauftragt. Die überlieferten Dokumente bezeugen von seinem aktiven und tatkräftigen Leben: nach dem Bakkalaureus-Abschluß an der Fakultät der Freien Künste der Wiener Universität war er als Kanzler und Rat am Hof des Königs Ladislaus Posthumus und des Kaisers Friedrich III. tätig. Seit den 70-er Jahren des XV. Jh. vertrat er die Interesse des Königs Matthias Corvinus, er nahm an zahlreichen diplomatischen Missionen teil. Unter anderem machte er sich um die Versöhnung von König Matthias mit Kaiser Friedrich III. verdient, ebenso beteiligte sich 1463 an der erfolgreichen Rückgabe der Heiligen Stephanskrone nach Ungarn. Während seines römischen Aufenthaltes (wo er wahrscheinlich das kanonische Recht studierte), wurde er zum apostolischen Protonotarius ernannt. Die Blüte der humanistischen Lehre in der Kurie, seine Erfahrungen auf den Höfen in Wien und Ofen – alles das hat in Schönberg Spuren hinterlassen und sicher ihn auch bei der Konstituierung der Universität Istropolitana in Pressburg beeinfl ußt. Nach der Meinung der ungarischen Historikerin A. Ritoók-Szalay konnte das Plan der Gründung der Universität bereits beim Treff en von Kardinal Bessarion mit Erzbischof Johann Vitez in Wien 1460 – 1461 erarbeitet werden. Ein der Hauptziele dabei war die Hoff nung zur baldigen Wiedervereinigung der griechisch-orthodoxen und römischkatholischen Kirche. Trotz diesen großgelegten Pläne war die Realität viel prosaischer – die Universität Istropolitana gehörte eher zu den regionalen Universitäten. Sehr wahrscheinlich dienten die in der Kapitelbibliothek erhaltenen Statute der Bologner Universität aus dem 14. Jh. als Vorlage für die Verfassung der Istropolitana-Statuten, genauso wie es auch in Prag der Fall war. Aus dem Verglech mit anderen europäischen Universitäten in der Umgebung sowie auch aus der Analogie bei der Personalbelohnung mittels Benefi zien kommt vor, daß in dem Fall von Pressburger Universität eher als um das strikte Kopieren des Bologneser Musters mehr um ein gemischtes Verwaltungsmodell ging. Die Richtung der Universität wurde vom Anfang an durch ihre humanistisch orientierten Professoren bestimmt. Mehrere Vortragenden an der Fakultät der Freien Künste – Martin Bylica aus Olkusz, Regiomontanus, Johann Reibel aus Kupferberg und Johann aus Krakau (warscheinlich Johann Glogowita aus Krakau) trugen dank der Unterstü- tzung seitens des Graner Erzbishofs in den ersten fünf Jahren der Existenz der Universität wesentlich zur Entwicklung der astronomischen Studien bei. In den bei der Gelegentheit des 500. Jahresfeiers entstandenen Studien hat man auf einer Seite die Bedeutung der Juristischen Fakultät überschätzt (u. a. hatte man den Unterricht des kanonischen sowie auch römischen Rechtes vorausgesetzt), auf der anderen Seite wurde gerade die Existenz dieser Fakultät in Zweifel gesetzt. Die Juristische Fakultät war ein legitimes Bestandteil der entstehenden Universität. Auf ihre Existenz deuten mehrere Hinweise: in der Zeit wurden die Universitäten üblicherweise mit allen 4 Fakul täten gegründet; auch die 18 Bänder der juristischen Traktate (d. h. Standardwerke zum Unterrircht des kanonischen Rechtes) sind zu erwähnen. Diese Werke gehörten zum Bestand der Bibliothek von Gotsleichnams-Bruderschaft (nach dem aus dem Jahre 1501 erhaltenen Inventar), welche zuvor von der Universität Istropolitana benützt wurde. Es ist schließlich möglich, daß sich um ursprünglich private Bibliothek des Probst Georg aus Schönberg handelt. Wir haben ihn nämlich als Besitzer von zwei derzeitig in der Salzburger Universitätsbibliothek bewahrten Erstdrucken aus der Gotsleichnams-Bruderschaft Bibliothek identifi ziert. Als Professore der Juristischen Fakultät sind auch mehrere Rechtsgelehrten – Bakkalaureus des kanonischen Rechtes Andreas aus der Raaber Diözese, Magister Valentinus aus Veresmart in Graner Diözese, Erzdiakon Paulus aus Wieselburg (ung. Moson) und Magister Franz Ethe, Pfarrer aus ungarischem Kéthely – der „nunc in universitate Posoniensis constitutis“ zu bezeichnen. Das Studium der Jurisprudenz in Pressburg erfolgte warscheinlich, ähnlich wie in Prag, unter der Aufsicht des Kapitels, der kirchlichen Verwaltung und erzbishöfl ichen Gerichtswesens. Diese vielversprechende Entwicklung der Universität wurde aber durch die Politik vereitelt. Nach der Entdeckung der Verschwörung gegen Matthias Corvinus 1471 fi el der Kanzler Vitez in die Ungnade und ein Jahr danach er verstarb. Er war nämlich mit der auf die Eroberung von Böhmen konzentrierte und die türkische Gefahr venachlässigende Politik des Königs nicht einverstanden. Die Universität wurde in der Folge von den zu seinem Umkreis gehörenden Professoren (M. Galeotto, J. Gattus, Regiomontanus und M. Bylica) verlassen. Die Universität Istropolitana geriet allmählich unter den Einfl uss der eher trazionalistich als humanistisch orientierten Wiener Universität. Die Universitätsverwaltung überging nach 1472 an den Vizekanzler Georg aus Schönberg. Der Vizekanzler versuchte, aus den üblichen 14 kirchlichen Prebenden eine bestimmte Anzahl für die Bezahlung der Professoren zu sichern. Eine Parallele zur Verbindung des Kapitels mit der Universität, welche direkt die Istropolitana-Gründung beeinfl ußte, fi ndet sich am Beispiel der benachbarten Wiener Universität. Das Kapitel wurde zu einer Universitätsstift, wobei jedoch die Kapitel-Kanonikate nicht komplett für die Universitätsprofessoren vorbehalten waren, wie es in Prag oder in Heidelberg der Fall war. Die Professoren der Universität und zugleich die Kanoniker des Pressburger Kapitels wurden Landsleute des Vizekanzlers vorwiegend aus Niederösterreich, Absolventen der Teologischen und Juristischen Fakultät der Wiener Universität. Dabei sind der Lizenziat der Theologie und großer Kenner der griechischen Sprache Nicolaus Schricker von Hüttendorf, Lizenziat der Theologie Nicolaus Popp von Hüttendorf, Lizenziat der Theologie Georg Greiff enstein aus Krems, Bakkalaureus der Theologie Sigismund Obrecht aus dem niederösterreichischen Lengenfeld, Magister Wolfgangus Prechtel aus Hausleiten, Doktor des kanonischen Rechtes Erasmus von Regensburg, Bakkalaureus der Theologie und des kanonischen Rechtes Johannes Rauch aus der Regensburger Diözese u. a. Die Beispiele anderer Universitäten belehren, daß die Kirche in der Regel nicht die einzige bei der Beschaff ung von Geldmitteln und Belohnung der Professoren mitbezahlende Institution war. Einen enscheidenden Anteil bei solcher Finanzierung kam der königlichen Familie zu. Im Falle der Pressburger Universität war dies jedoch nicht der Fall. Trotz der Tatsache, daß sie zur Prestige- und Repräsentativsanstalt des ungarischen Königreichs gegenüber die Nachbarländern werden sollte, zog der König eher seine politischen Anliegen der Universität vor und hat die sie fi nanziell nicht unterstützt. So können wir uns aufgrund der fragmentarisch erhaltenen Zeugnisse über die Universität Istropolitana auch eine legitime Frage stellen: Wurde die Istropolitana nach dem Abschied der Professoren des Vitéz-Umkreises und Übergang unter die Verwaltung von Georg aus Schönberg nicht eher zu einer „Zweigstelle“ der Wiener Universität? Trotz intensiver Beteiligung der Kapitel-Mitglieder an den pädagogischen Aktivitäten oder in den königlichen Diensten bestand ihr Hauptbetätigungsfeld in ihren sakralen Aufgaben: Pastorale Fürsorge, Gottesdienste und Totenmessen, Prozessionen usw. Einige mit den königlichen Diensten beschäftigten Pröbste und Kanoniker hielten ihre Residenz außer des Kapitelsitzes, was sie durch die päpstlichen Dispense und Einsetzung der Vertreter (Vikare) wiedergutmachten. Zum Unterschied von ihnen, hielten sich die als Pfarrer, Dekan, Scholastiker oder Kustos wirkenden Kapitelmitglieder im Kapitelsitz, sie waren bei den Testamentabfassungen oder als Rechtsexperte in den städtischen Diensten tätig. Außer ihnen waren im St. Martinsdom zahlreiche Altaristen, Priester, Sängerchor – alle diese Personen ergänzten die zum Dom gehörende geistliche Gesellschaft. Die Bibliothek des Pressburger Kapitels stellt heutzutage den preisvollsten Handschriftenbestand auf dem Gebiet der Slowakei dar. Um die Rolle des Kapitels und seinen Beitrag zur Kultur- und Bildungsgeschichte in unserer Region ausgeglichen bewerten zu können, sind weitere Forschungen notwendig. Von besonderer Bedeutung ist, die Umstände und Identifi zierung der verlorengegangenen Kodexe in den slowakischen sowie ausländischen Archiven weiter zu erforschen. In diesem Zusammenhang haben wir festgestellt, daß eine Handschrift aus der Pressburger Kapitelsbibliothek mit kanonisch-rechtlichen Texten aus dem XIV. – XV. Jh. sich derzeitig in der Harvard University Library (USA) befi ndet, wo sie aller Wahrscheinlichkeit nach in der Zwischenkriegszeit geriet. Bei der Verfolgung der Schicksale der Pressburger Kapitelmitglieder wird uns nicht überraschen, daß ihr Hauptziel in der ersten Reihe die kirchliche Karriere war – sie garantierte nämlich sicheren gesellschaftlichen Aufstieg und gleichzeitig auch kanonische und bischöfl iche Prebenden. Mehrere von ihnen nützten dann ihre internationalen Erfahrungen und Kenntnisse auf dem Gebiet der Slowakei aus.
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