Der Haß des Sarastro

Author(s): Robert Spaemann / Language(s): German Issue: 16/1999

Haß und Gewalt haben etwas miteinander zu tun. Aber ihr Verhältnis zueinander ist keines,,",regs eindeutig. Manchmal führt Haß zu Gewalt.Manchmal führt umgekehrt Gewalt zu Haß. Und manchmal ist Haß die Folge der Ohnmacht, der Unfähigkeit, Gewalt mit Gewalt zu beantworten. Es gibt Gewalt ohne Haß, und es gibt Haß ohne Gewalt. Und es gibt schließlich die Fälle, wo Haß bewußt erzeugt wird, um die Effizienz der Gewalt zu steigern. Gewalt ist ein soziales Phänomen, Haß ein psychisches. Gewalt ist eine Form des Handeins, Haß ein seelischer Zustand, ein Gefühl.

Mitteleuropa? Aber wo liegt es?

Author(s): Timothy Garton Ash / Language(s): German Issue: 16/1999

»Es ist mir eine Freude «, erklärte Henry Kissinger, »hier in Osteuropa, ich meine... in Mitteleuropa zu stehen«. Auch im Fortgang seiner Rede verwendete er diese Formulierung: »Osteuropa, ich meine... Mitteleuropa«. Es war in Warschau, im Sommer 1990, und in diesem Moment wußte ich, daß Mitteleuropa triumphiert hatte.

Zur Kritik der Vorurteilskraft: Rußlandbilder

Author(s): Aage A. Hansen-Löve / Language(s): German Issue: 16/1999

Zuvor etwas zu den Vorurteilen. Danach kommen die Nachurteile. Beiden gemeinsam ist das Fehlen der Urteilskraft, beide verbindet aber auch das Phantasmagorische ihres Urteils, des Objekts von Begierde und Abscheu zugleich. Intensität und Ambivalenz ersetzen hier bestimmbare Qualitäten und nachvollziehbare Definitionen.

Nach dem Triumph

Author(s): Zbigniew Brzeziński / Language(s): German Issue: 16/1999

Heute, mehr als 150 Jahre nach dem »Völkerfrühling«, jenem ekstatischen Aufbruch zur Freiheit, der den Beginn des Siegeszugs der Demokratie markiert, sind die meisten Ideen, die mit jenem historischen Moment assoziiert werden - aber auch mit der früheren, jedoch geographisch entfernteren amerikanischen Revolution - weltweit akzeptiert. Nachdem in diesem Jahrhundert zuerst der Nationalsozialismus und dann auch der Kommunismus eine Niederlage erlitten haben, scheint das Modell der Demokratie zu triumphieren und politisch auf dem Vormarsch zu sein.

Transnationale Gemeinschaften

Author(s): Pál Nyiri / Language(s): German Issue: 17/1999

Wenn von Migration im postsozialistischen Europa die Rede ist, fallen einem als erstes erzwungene oder freiwillige ethnisch bedingte Umsiedlungen in der Region und die Abwanderung von Arbeitskräften in Richtung Westen ein. Es gibt aber auch eine Migration hochqualifizierter Arbeitskräfte von West nach Ost, die nicht nur beträchtliche kulturelle Auswirkungen hat, sondern auch zahlenmäßig eine viel größere Dimension erreicht, als gemeinhin bekannt ist. So sind zum Beispiel mehr als hunderttausend hochqualifizierte Deutsche in Polen beschäftigt. Ich möchte im folgenden einen anderen Strom von Menschen ansprechen, der in den neu geöffneten osteuropäischen Migrationsraum fließt: Migranten aus Asien.

In Extremis

Author(s): Felix Philipp Ingold / Language(s): German Issue: 17/1999

Das russische Selbstverständnis scheint sich gegenwärtig nur noch ex negativo artikulieren zu können -- in Schlagzeilen wie »Rußland am Abgrund«, »Rußland in Trümmern«, »Rußland am Ende«, in Begriffen wie »Dekadenz« und »Koma«, »Krise« und »Katastrophe«. Die nachfolgende Darstellung des postsowjetischen Kulturwandels ist auf eine Rekonstruktion dieses russischen Selbstverständnisses angelegt; sie stützt sich in der Hauptsache auf aktuelle russische Zeitzeugnisse und soll insgesamt eine Innenansicht der heutigen Rußländischen Föderation ermöglichen.

Umbrüche und Normale Zeiten

Author(s): Ralf Dahrendorf / Language(s): German Issue: 18/1999

Ende Juni 1999 versammelte der polnische Erfinder des Wiener Instituts für die Wissenschaften vom Menschen, Krzysztof Michalski, zahlreiche Protagonisten der Revolution von 1989 zu einer Bilanz nach zehn Jahren. Es war in gewisser Weise ein Jubiläumstreffen, denn die meisten der Anwesenden hatten schon an dem dramatischen Kongress unter den gleichen Auspizien neun Jahre zuvor teilgenommen.2 Nun indes, 1999, saßen sie da in neuen, ein Jahrzehnt zuvor unerwartbaren Rollen. Timothy Garton Ash, der unübertroffene Chronist der Revolution, leitete mit Verständnis und Ironie die Diskussion auf dem Podium.3 Er erinnerte Viktor Orban, den noch immer jungen ungarischen Intellektuellen, an dessen bewegende Rede bei der Gedächtnisfeier für Imre Nagy, den Märtyrer der ungarischen Ereignisse von 1956. Aber Orban, inzwischen Ministerpräsident seines Landes, ging über die Vergangenheit rasch hinweg und verfocht statt dessen die Theorie pragmatischer Politik - wenn diese denn eine Theorie hat -, als sei er Helmut Schmidt oder der ein wenig verloren neben Orban auf dem Podium sitzende österreichische Kanzler Klima. Adam Michnik, den polnischen Feuerkopf, brachte das in Rage.

Zu einer politischen Typologie der Aussöhnung

Author(s): Charles S. Maier / Language(s): German Issue: 18/1999

Aussöhnung ist ein sehr problematisches Konzept. Das gilt sowohl für die Aussöhnung zwischen Nationen und Völkern als auch für die Aussöhnung innerhalb von Nationen und Völkern. Zur Klärung dieser Thematik hat ein intensiver Gedankenaustausch beigetragen, den ich vor einiger Zeit mit Anne Sa'adah von der Universität Dartmouth geführt habe. Sie las damals das Manuskript meines Buches Dissolution gegen und schrieb selbst an einem Werk über politische Rechtsprechung im vereinigten Deutschland. Ihre Arbeit behandelt die Frage, wie eine demokratische Ordnung geschaffen werden kann, wenn diese sich mit der Aufgabe konfrontiert sieht, tiefe politische Spaltungen zu überwinden, aber gleichzeitig die Anhänger des vorangegangenen Regimes zur Rechenschaft ziehen will. Macht demokratische Stabilität Aussöhnung auch um den Preis des Verzichts auf Gerechtigkeit nötig? Oder erfordert die langfristige Gesundheit des Gemeinwesens, dass Gerechtigkeit notfalls sogar auf Kosten der Aussöhnung geübt wird? Oder muss man einfach nach Maßgabe der Umstände entscheiden - etwa danach, wie groß die Bedrohung ist, die von ehemaligen verbrecherischen Führern ausgeht?

Demokratie und Vertrauen

Author(s): Claus Offe / Language(s): German Issue: 18/1999

Schwer zu sagen, wie zukünftige Historiker unser Zeitalter kennzeichnen werden.::- Vielleicht wird vom Ende des Kalten Krieges die Rede sein, obwohl man mit negativen Bestimmungen (wie z. B. auch mit dem Etikett der »Postmoderne« oder der »postindustriellen Gesellschaft«) gedanklich nicht viel ausrichten kann. Auch in der »Globalisierung« könnte man das Typische der Epoche erkennen - wenn auch wohl eher in dem ironischen Sinne, dass man darüber rätseln wird, wie ein solcher mit Assoziationen überfrachteter Unbegriff die Geister der Zeitgenossen jemals zu fesseln vermochte. Viel plausibler als Kennzeichnung von Zustandsveränderungen der Weltgesellschaft, die im vierten Quartal des 20. Jahrhunderts stattfanden, scheint der Verweis auf den Siegeszug der liberalen Demokratie als der »normalen« Form politischer Herrschaft. 1974 konnten knapp 30 Prozent der existierenden Staatswesen als Demokratien qualifiziert werden, heute sind es über 60 Prozent.

Was bleibt von 1989

Author(s): Timothy Garton Ash,Václav Havel,Adam Michnik,Viktor Orbán,Viktor Klima / Language(s): German Issue: 18/1999

Wandel des Kommunismus?

Author(s): Aleksander Kwaśniewski,Giorgio Napolitano,Roger De Weck / Language(s): German Issue: 18/1999

Auf dem Weg ins utopielose Jahrhundert

Author(s): Cornelia Klinger / Language(s): German Issue: 19/1999

Es soll hier nicht von der Zukunft die Rede sein und keine Voraussage gemacht werden, ob und welche Art von Utopien im Verlauf des 21. Jahrhunderts entstehen könnten. Und obwohl der Titel es nahelegt, soll erst recht nicht behauptet werden, dass in den vor uns liegenden hundert Jahren keinerlei utopische Ideen entwickelt werden könnten. Das wäre vermessen.

Isaiah Berlins Moderne

Author(s): Ira Katznelson / Language(s): German Issue: 19/1999

Bei der Trauerfeier in der Synagoge von Hampstead spielte Alfred Brendel, der mit Isaiah Berlin eng befreundet gewesen war, einen Satz aus Schuberts B-Moll-Sonate. Hätte er gesprochen, dann hätte er das, wodurch sich Berlins zahlreiche Essays auszeichnen, auch mit den Worten beschreiben können, die er in Nachdenken über Musik für sein eigenes Fach gefunden hat: »Was ist geniales Klavierspiel? Ein Klavierspiel, das richtig und kühn zugleich ist. Seine Richtigkeit gibt uns zu verstehen: so muß es sei. Seine Kühnheit überrascht und überwältigt uns mit der Erkenntnis: was wir für unmöglich gehalten hatten, wird wahr.« (BrendeI1977, S. 170)

Religion heute: Der Ort der Religion in der modernen Gesellschaft

Author(s): Charles Taylor / Language(s): German Issue: 19/1999

Welchen Platz nimmt die Religion in der heutigen Gesellschaft ein? Über die Frage, ob die Religion auf dem Rückzug ist oder ein Comeback erlebt, wird heftig gestritten. Zwei Auffassungen scheinen aber von vielen geteilt zu werden: Erstens, dass unsere nordatlantische Welt säkular ist und es künftig in verstärktem Maße sein wird, dass also die öffentliche Sphäre zunehmend neutral ist, während die Religion mehr und mehr zur Privatsache wird. Zweitens, dass diese Welt in allen ihren Sphären, einschließlich der religiösen, von einem wachsenden Individualismus geprägt ist, mit der Folge, dass die großen Kirchen Mitglieder verlieren und die dadurch entstehende Lücke von einer diffusen Spiritualität ausgefüllt wird.

Der sterbende Gott

Author(s): Krzysztof Michalski / Language(s): German Issue: 19/1999

Erinnern Sie sich der Geschichte über die letzten Momente des Sokrates, die Platon im Phaidon aufzeichnete? Darin berichtet Phaidon, einer der Freunde des Sokrates, seinem Bekannten Echekrates von seinem letzten Gespräch mit Sokrates. Thema der Diskussion ist der Tod. Es ist dies aber nicht eine Diskussion wie andere, denn während der Diskussion trinkt Sokrates das Gift, zu dem ihn die Mächtigen Athens verurteilt haben, und stirbt.

Wieviel Politik braucht der Markt?

Author(s): Robert Skidelsky / Language(s): German Issue: 19/1999

Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus im Jahre 1989 fand eine zweihundertjährige Diskussion um wirtschaftliche Freiheit ihr Ende. Von Adam Smith über Karl Marx bis zu Vaclav Klaus stellte das rechte Gleichgewicht zwischen Markt und Staat eine zentrale Frage in der Theorie und Praxis moderner Politik dar. Und nun also ist diese Frage beantwortet. Auch wenn es weiterhin staatliche Lenkungsmechanismen für die Wirtschaft geben wird - die in Umfang und Intensität des Zugriffs variieren mögen -, wird doch jede Gesellschaft, die beansprucht, zur Familie der demokratischen Nationen zu zählen, ihren Bürgern wirtschaftliche Freiheit gewähren müssen.

Marktmechanismen und soziale Ordnung

Author(s): Kurt BiedenkopJ / Language(s): German Issue: 19/1999

Die Frage, die wir hier diskutieren, lautet: Hat mit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus der Markt gewonnen? Meine erste These wäre, dass nicht der Markt gewonnen hat, sondern dass das Bestreben, den Markt zu eliminieren, gescheitert ist. Das ist nicht ganz das Gleiche. Meine zweite These ist, dass der Markt auch heute noch Feinde hat.

New Economy und gesellschaftlicher Wandel

Author(s): Patricia Hewitt / Language(s): German Issue: 19/1999

Als die Grenze zwischen Österreich und Ungarn 1989 geöffnet wurde und der Kommunismus zusammenbrach, verkündeten Margaret Thatcher und andere neoliberale Politiker den Triumph des Marktes. Die massive Einführung liberaler Prinzipien im Laufe der 80er Jahre, so ihr Argument, habe die ökonomischen und politischen Bedingungen weltweit unwiderruflich verändert. Der Markt sei König, kein System garantiere einen effizienteren Einsatz der verfügbaren Ressourcen und bessere Resultate für den Einzelnen. »There is no such thing as society« - »Die Gesellschaft gibt es nicht«, lautete die berühmt-berüchtigte Parole von Margaret Thatcher.

Architektur der Kontrolle. Internet und Macht

Author(s): Lawrence Lessig / Language(s): German Issue: 19/1999

Wir lernen, die Dinge auf eine bestimmte Weise zu sehen, und dann sehen wir sie nur auf diese Weise. Wir sehen nur, was uns diese Sichtweise enthüllt nichts darüber hinaus, nichts, was ihr widerspricht. Unsere Welt ist nach diesen Schemata eingeteilt. Darüber hinaus sehen wir nichts. Wir haben bereits ein gutes Stück der Geschichte unserer Zukunft hinter uns; eine Dekade ist vergangen, seit der Begriff des World Wide Web erstmals auftauchte; fünf Jahre, seit der führende Betriebssystemhersteller das Web in sein Betriebssystem eingebaut hat. Heute verbringen Millionen von Menschen ihr Leben zu großen Teilen im Cyberspacel . Die Wirtschaft hat den Cyberspace entdeckt und gibt Milliarden aus um· herauszufinden, wie er in die Wirtschaft der realen Welt eingepasst werden könnte.

Jozef Tischners Philosophie

Author(s): Krzysztof Michalski / Language(s): German Issue: 20/2000

Seine Analysen bezeichnet Jozef Tischner als »Phänomenologie«; aber er denkt dabei nicht an die von Husserl begründete »philosophische Strömung«. Er will nur die Welt beschreiben, wie er sie sieht, die Welt, die zutage tritt in jenen Erfahrungen, die er für wichtiger hält als alle anderen. Ähnlich verhält es sich mit der anderen Bezeichnung, die Tischner benutzt, um seine Anschauungen zu kennzeichnen: die »Agathologie«. Wenn er von »Agathologie« spricht, will Tischner nicht dem bereits abgezäunten Bereich philosophischer Forschung eine neue Parzelle hinzufügen. Er will vielmehr sagen: Wenn wir die Erfahrungen in Worte fassen wollen, welche am tiefsten, am radikalsten, am spürbarsten bestimmen, wer wir sind, dann genügt es nicht, über Objekt und Subjekt, ja nicht einmal über das Sein und das Nichts zu sprechen; wir müssen auch, ja vor allem, über das Gute und das Böse, über Schuld und Sühne, über Erlösung und Verdammnis sprechen.