Author(s): Rade Uhlik / Language(s): Bosnian
Issue: 9/1972
Nebst der Nennform, einer morbiden verbalen Aussageweise, welche heutzutage nur noch in der Goptischen Mundart in Lika vegetiert, besteht in der Zigeunersprache noch ein unpersönlicher Modus das Mittelwort der Gegenwart (M. G.), das vom vorigen sich in gewisser Hinsicht wesentlich unterscheidet. Das zigeunerische M. G. wird so gebildet, das man dem Präsensstamme die einheitliche Vorsilbe -indo, ohne Rücksicht auf Geschlecht und Zahl anhängt. Daneben besteht auch eine gräzisierte Form, -indos, deren Endlaut -s im Laufe der Zeit eine merkliche Dichotomie erfahren hat. Einerseits überging dieser Zahnlaut in den Hauchlaut h, was auch sonst für die indo-iranischen Sprachen kennzeichnend ist. Stellenweise entwickelte sich am Silbenende aus dem Zahnlaut -s der Graumenlaut -/. Andererseits kam es zu einem ungewöhnlichen lautlichen Phänomen, zum sog. Rhotazismus, d. h. zur Erscheinung, dass der Zischlaut -s in den Zungenlaut -r verwandelt wurde. Auf diese Weise entstand eine Reihe von Endsilben, die alle ein und dieselbe Bedeutung haben. Nehmen wir einige Beispiele. Prastandos von kamen e mena te phaden. Wortl.: Rennend wollen sie sich die Hälse brechen. Rovindo, o chavo^o irisaljo ke pi dej. (Der Knabe kehrte weinend zu seiner Mutter zurück). Das Zigeunerische kennt keinen Unterschied zwischen durativen und momentanen Zeitwörtern. Prüfen wir dies an Beispielen nach. Irin do-pe chere, mo amal peklah te dilabel. (»Nach Hause zurückkehrend«, mein Freund begann zu singen). Im Serbokroatischen (SK) könnte man das M. G. irindo-pe fallweise zweifach übersetzen: vracajuci se und vra-tivsi se. Im folgenden Beispiele hat das Zeitwort im ersten Satze merel momentanen Charakter, während das verbale Syntagma merindo merel im zweiten Satze einen durativen Beisinn trägt. Lochipe hi te manus merel, pharipe hi te merindo merel. (Leicht ist es zu sterben, schwer isi es »sterbend zu sterben«), SK: Lako je umrijeti, teäko je umirati. Das M. G. kann, wie in vielen anderen Sprachen, durch eine persönliche Form vertreten werden. Z. B.: Perindo (oder: Sar pelem) xajrate, mi cang phaglem. Übersetzt: Fallend (oder: Als ich fiel), brach ich mir das Knie. Bekanntlich ist das M. G. an keine Person, Zahl oder Zeit gebunden. ZB. Dzando kam-resah (bzw. resah; reslam) len. »Gehend« werden wir sie einholen (bzw. holen wir sie ein: holten wir sie ein). Ein gemischtes Beispiel: Vov dilabindo phirel, voj phirindo dilabel, gaja kaj liduj diene dilaben thaj phiren. (Ers singt gehend, sic geht singend, so dass beide singen und gehen). Ujrindo but, gola cirikljora chinjile. (Fliegend viel, diese VÖglein wurden müde). Die Zeitwörter ujrav und prastav bedeuten gewöhnlich fliege. Ujrav heisst jedoch in der Regel flauere, wogegen prastav eigentlich dem Begriff laufe entspricht. Ähnlich verhalten sich im SK. die Zeitwörter treati (laufen) und teci (fliessen), da sie manchmal als Synonyme betrachtet werden. ZB.: Kud si potekao (oder: potröao). Wo rennst du hin? On je utekao (Er is weggelaufen). Vgl. tekao (Geflossen). Sinngleich oder sinnverwandt sind auch das deutsche fliessen und laufen, bzw. franz. couler und courir. Ujravindo pe öhavoreh, e dej bajrol e baxtatar. (Schniegelnd das Kind, wachst die Mutter vor Glück). Seiner Form nach würde das Zeitwort ujravav die Kasusform des Zeitwortes ujrav darstellen. In Wirklichkeit ist das aber nicht der Fall, denn ujravav bedeutet anziehen, kleiden, schniegeln. Vom Zeitwort darav (fürchte mich) lautet das Kausativum dara-vav (ich erschrecke jmd). Die betreffenden Mittlwörter werden regelmässig gebildet: darindo (sich fürchtend), daravindo (erschreckend jmd). Vom Zeitwort prastav (laufe) heisst die bewirkende Form prasta-vav (treibe an). Deren Mittelwörter sind: prastando und prastavindo. Vom Zeitwort phirav (gehe, schreite, wandte) lautet die Kausalform phi-ravav mit der Bedeutung trage (Kleider, Bart, usw.) Dagegen, ich trage eine Last heisst: idarav (lidarav). Die Mittelwörter sind phirindo (gehend), phiravindo (tragend). Noch einige diesmal faktitive Zeitwörter, d. h. solche, die aus Haupt- und Beiwörtern abgeleitet werden. So ist vom Hauptwort drab (Heilkraut, Arznei, usw.) das Zeitwort drabkerav (Kurzform: drabarav) entstanden. Davon das M. G. drabarindo (wahrsagend, zaubernd). Vom Beiwort buhlo (breit) wird das Zeitwort buhljarav (erweitere) gebildet. Davon das Mittelwort buhljarindo. Es besteht eine kleine Gruppe von Zeitwörten, die ihre M. G. durch Anfügung der besagten Endsilbe an den Präterital- und nicht an den Präsensstamm bilden. Auf diese Weise bekommt man vom Zeitwort lav (nehme) das M. G. lindo (nehmend), das vom Prätcritalstamm Hj- herkommt, dessen Endlaut -/ mit dem Anfangsvokal der Endsilbe -indo zusammengeschmolzen ist, was dann die geschrumpfte Form lindo ergab. Z. B. Lindo e churi, voj chutah la an po brekh. (Das Messer ergreifend, steckt sie es in ihren Busen). Die I. Pers. Sing, des Präteritums lautet lijem (nahm, habe genommen), Türkisch-zig.: lindum. Ähnlich steht es mit dem Zeitwort dav (gebe), dessen M. G. dindo (gebend) und das Präteritum dijem (gab, habe, gegeben). Türk. zig. din-dwn), lauten. Z. B. Dindo lenca putardi vorba, voj mothodah lende sa so dzanglah. (»Offen sprechend« mit ihnen, sagte sie ihnen alles, was sie wusste). Gleich einigen anderen, dient das Zeitwort dav zur Bildung verbaler Komposita. Hieher gehören u. a. auch die Zeitwörter cerav (mache, tue), thovav (stelle, lege), u. a. m. Zlir der genannten Gruppe gehört auch das Zeitwort pijav (pjav, pav), trinke, dessen M. G. pindo (kontrahiert von pijindo) lautet, und das Präteritum pilem, Türk. zig. pindum (trank, habe getrunken). Z. B. Pindo thaj chorindo pire love, vov sa pocira xasardah piro barvalipc. (»Trinkend und sein Geld verschwendend«, hat er nach und nach all sein Vermögen verprasst). Einen ganz speziellen Fall bietet uns das Zeitwort xinav (kacke) von dessen zusammengezogener Form xljav das Mittelwort xljindo stammt, während von der langem Form xinav das Mittelwort der Vergangenheit gebildet wird: xindo, was behackt heisst. N. B. Im Zigeunerischen gibt es nur passivisches, aber kein aktivisches Mittelwort der Vergangenheit. Die beiden Partizipien, xljindo und xindo ähneln einander in Form und Bedeutung, weshalb sie selbst im Zigeunermunde verwechselt u'erden können. Von den bisher aufgezähltcn Beispielen unterscheidet sich das Zeitwort dzav oder zjav (gehe), welches zu den einsilbigen Verben gehört. Es stellt eine Ausnahme dar, nachdem das M. G. nicht von seinem Präteritum gebildet wird, (welches delcm oder gdem d. h. ging, bin gegangen, lautet), sondern unmittelbar von seiner apokopierten Präsensform dzav, zu welcher die apostrophierte Endung -ndo hinzugefügt wird. So erhalten wir die Form dzando (gehend), die in mehreren Sonderarien Vorkommen kann. Diandos, diandoh, dzandoj, diandor. Einige Beispiele, anschliessend. Cov mato tnanus cinoj-pe dzando. (Dieser betrunkene Mensch wankt gehend). Gov mato manus cinondo -pe dzal. (Dieser betrunkene Mensch geht w'ankend). In beiden Sätzen erscheinen die Zeitwörter wanken und gehen wechselweise in persönlicher und unpersönlicher Eigenschaft. In einer entsprechenden Satzverbindung kann man diese beiden Zeitwörter in persönlicher Form nebeneinander anführen: Gov mato manus dzal thaj cino-pe. (Dieser betrunkene Mensch geht und wankt). Dazu noch ein paar gemischte Beispiele. Zjandos dromesa tnala-dam le asavares. (»Den Weg gehend«, trafen wir den Müller). Di.ando soro devlehko dive, rnaj palal achadilem thaj heilem ande itidri uchalin. (»Den ganzen Tag gehend«, bin ich zuletzt müde geworden und habe mich in kühlem Schatten niedergelassen). In der nördlichen Gurbet-Mundart kann man hie und da den Lokalismus dzando in der Bedeutung gescheit (erfahren) antreffen. Daraus enstand der emphatische, adjektivische Ausdruck budzando (but dzando) mit der Bedeutung sehr klug, womit eigentlich jemand bezeichnet wird, der viel herumveist oder umherstreicht und deshalb auch »viel weiss«. Es handelt sich hier um Kreuzung von Formen und Wortsinn zweier Verben, dzav (gehe) und dzanav (weiss). Das M. G. moviert, da es ja ein reines Eigenschaftswort geworden ist. So, zum Beispiel, bezeichnet der Ausdruck but dzandi eine Weibsperson, die sich viel herum-trejbt und dadurch grosse Erfahrung erworben hat, kurz gesagt, eine Person, die wohlbewandert ist. Das zigeunerische Zeitwort dzav entspricht hier dem deutschen wandere. Vom Zeitwort dzanav (weiss) lautet das Mittelwort der Vergangenheit dzanglo (gewusst) und von dzav (gehe) lautet das M. G. dzando (gehend).
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