Meine deutsche Frage. Überlegungen zu einem Jahrestag
Am Abend der ersten freien Wahlen in der DDR war ich unterwegs vom Haus der Demokratie zum Palast der Republik. Nachdem ich die erste Enttäuschung meiner Freunde vom »Bündnis 90« angesichts der düsteren Hochrechnungen miterlebt hatte, wollte ich wissen, wie im Unterschied dazu die politische Prominenz auf ihren Erfolg reagieren würde. Das monströse Palastgebäude, einst von Erich Honecker als Pyramide seiner Herrschaft erbaut, hätte ich eigentlich nicht betreten dürfen; ich war förmlich gezwungen, mich einzuschleichen. Die Show der Großen war des Ereignisses würdig. Zahllose Kameraleute verfolgten die bundesdeutschen Politiker und ihre östlichen Schützlinge auf Schritt und Tritt. Rau, Geißler, Graf Lambsdorff wärmten sich im Schein der Jupiterlampen, und der West-Berliner Oberbürgermeister Momper eilte dynamischen Schrittes von irgendwo nach irgendwo, ein Dutzend Mitarbeiter auf den Fersen, die ihn sichtlich bis in die Gestik nachahmten. Maßanzüge und Krawatten beherrschten die Szene und ließen bereits ahnen, daß das Sprichwort »Kleider machen Leute« auch in der neuen Republik seine Gültigkeit behalten würde.
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